An der Parkaue und in Trägerschaft der SozDia befindet sich die Linse seit 2004. Mehr über die bewegte Geschichte könnt Ihr in der Ende 2020 zum 30-jährigen Stiftungsjubiläum erschienenen Festschrift auf Seite 20 lesen.
Und das weiß Einrichtungsleiter, Michael Junkert, über vier Jahrzehnte Linse und die anstehenden Herausforderungen zu erzählen:
Bereits Anfang 1980 gegründet, etablierte sich in Friedrichsfelde ein Jugendklub, dessen Schwerpunkt die Kulturarbeit darstellte. Film, Fotographie, doch vor allem Musik, Bandarbeit und Konzertveranstaltungen prägten die Angebote vor Ort. Im Jahr 1991 war die Linse erstmals von der Schließung bedroht, da die vor Ort geleistete Arbeit als nicht mit den Konzeptvorstellungen des Bezirksamtes Lichtenberg (damals Einrichtungsträger*in) vereinbar eingestuft wurde. Ebenfalls wurden bauliche Mängel als Grund für eine Schließung vorgehalten, welche die Jugendlichen und Mitarbeiter*innen jedoch in Selbstorganisation behoben und das Angebot somit erhielten.
Da die konzeptionellen Diskrepanzen allerdings nicht als gelöst angesehen wurden, kam es im Sommer 2002 erneut zu der akuten Bedrohung des Angebotes. Jugendliche besetzten zum damaligen Zeitpunkt den Jugendhilfeausschuss in Lichtenberg um zu verdeutlichen, dass nicht über ihre Köpfe hinweg zu entscheiden war, was mit dem von ihnen etablierten Angebot geschehen sollte. Der politische Konflikt spitzte sich daraufhin zu. 2004 kam es zu der Entscheidung, dass die Linse als Jugendklub in das ehemalige Kantinengebäude an der Parkaue umziehen und diese Umbauphase durch den Wechsel der Trägerschaft zum Sozialdiakonische Jugendarbeit Lichtenberg e.V. (heute SozDia Stiftung Berlin) koordiniert und in Zusammenarbeit mit Jugendlichen vor Ort konzeptionell begleitet werden soll.
Es stimmt mich etwas ehrfürchtig eine derart historisch geladene Einrichtung leiten zu dürfen, welche nach wie vor für ein breites Spektrum an interkultureller Verständigung, die Umsetzung diverser Veranstaltungen und als Ort für die jungen Menschen Berlins zur Verfügung steht. Das gewachsene Netzwerk an Veranstalter*innen, Künstler*innen, Unterstützer*innen und die damit verbundenen Möglichkeiten sind gigantisch.
Leider ist die Linse abermals durch bauliche Vorhaben akut von der Schließung des Standortes bedroht. Die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt haben bereits 2017 mit der Aufwertung des Kulturstandortes Parkaue begonnen, welche vor allem bauliche Maßnahmen am und um das Theater an der Parkaue vorsieht. Durch die Baumaßnahmen werden große Teile des Geländes über lange Zeit nicht betretbar und die restlichen Flächen nicht nach geltenden Sicherheitsstandards für Besucher*innen nutzbar sein. Unter anderem bedeutet dies für die Linse den Wegfall von Zu- und Fluchtwegen, sowie fehlende Planungssicherheit im Arbeitsalltag, da unter anderem sämtliche Medien - Strom-, Wasser-, Abwasser- und Internetleitungen - erneuert werden. In die Planung der Arbeiten war der Jugendklub Linse bis August 2019 nicht einbezogen worden und wurde im selben Monat vor vollendete Tatsachen gestellt: Die Linse habe zum Ende des Jahres 2019 ihre Arbeit vor Ort einzustellen.
Auf Bemühungen des Vorstandsvorsitzenden der SozDia, Michael Heinisch-Kirch des verantwortlichen Koordinators Andreas Minameyer und mir als Einrichtungsleiter wurden die Belange des Jugendklubs erstmals von der mit dem Bau beauftragen PMS AG angehört. An den Bebauungsplänen änderte sich jedoch nichts. Alternativvorschläge wurden auf Grund mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten abgetan. Durch Verzögerungen in der Finanzierung hat sich der Baubeginn jedoch auf Ende 2023 verschoben, was für die Linse bedeutet, dass sie die nächsten zwei Jahre noch an ihrem derzeitigen Standort bestehen kann, sofern die weitere Finanzierung über die Leistungsverträge für den kommenden Doppelhaushalt veranlasst wird.
Die Freude über das weitere Bestehen der Einrichtung wurde jedoch abermals durch eine plötzliche Änderung der Umstände getrübt. Seit März vergangenen Jahres hält die Corona-Pandemie die Gesellschaft in festem Griff. Was zunächst als zu beobachtendes Phänomen begann, schnitt schnell radikal in das alltägliche Leben der Weltbevölkerung ein. Als die Schließung von öffentlichen Einrichtungen und das Verbot zur Durchführung von Veranstaltungen in Berlin bekannt gegeben wurde, hatte ich gerade eine Veranstaltung in den Startlöchern. Die jugendlichen Künstler*innen waren aufgewärmt, die Technik bereit, die Bar bestückt und noch eine Stunde Zeit bis der Einlass beginnen sollte. Dann erhielten wir die Mail vom Bezirksamt, dass wir bis auf weiteres keine derartigen Veranstaltungen durchführen würden.
Über die Pandemie hinweg hat das Team der Einrichtung jedoch nie die Profession aus den Augen und den Mut zu handeln verloren. Es wurden stetig im Rahmen der Möglichkeiten neue Angebote geschaffen, um den jungen Menschen weiterhin mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Wir haben Onlineangebote etabliert und andere Einrichtungen der Trägerin unterstützt.
Zeitgleich engagierte sich die Linse im Rahmen der "Landesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendarbeit" LAG OKJA, welche mit ihrer Lobbyarbeit entscheidend dazu beitrug, dass Einrichtungen der Jugendarbeit in Berlin im Zuge des zweiten Lockdowns 2020 auch als systemrelevante Bildungsorte angesehen wurden und somit ihre Arbeit unter Auflagen wieder aufnehmen konnten. Die Linse gestaltete Angebote an den Bedarfen der jungen Menschen. Es wurden Lerngruppen initiiert, welche im Rahmen des Distanzunterrichts unterstützten und Kreativangebote geschaffen, um Momente der Ruhe und Möglichkeiten zum Austausch zu bieten. Auch der nach wie vor für die Einrichtung prägende Aspekt der Kulturarbeit wurde weiterhin fokussiert. So führte die Linse im September vergangenen Jahres ein HipHop-Openair auf dem Gelände durch. Das Erstellen eines hierzu notwendigen Hygienekonzeptes und dessen Umsetzung bereitete das Team gut auf weitere Veranstaltungen dieser Art vor und das Event war mit 500 Besucher*innen und Größen der Berliner HipHop-Szene ein großer Erfolg.
Durch diesen bestärkt, war es dem Linse-Team ein Anliegen, weiterhin kulturelle Ereignisse und Erfahrungen für junge Menschen zu ermöglichen, auch unter den Einschränkungen durch Corona. Die Linse beteiligt sich seit Jahren aktiv bei der Féte de la Musique und richtet in Kooperation mit anderen Jugendfreizeiteinrichtungen eine große Bühne am Nöldnerplatz ein. Da auch die Féte dieses Jahr nicht wie gewohnt stattfinden konnte und auf digitale Formate statt Live-Events umschwenken musste, begab sich die Linse kurzer Hand auf ungewohntes Terrain und produzierte vier Live-Acts für einen Stream vor, welcher am 21. Juni ausgestrahlt wurde. Die Produktion war ein großer Erfolg und abermals wurde deutlich, wie wichtig das kulturelle Treiben für das Wohlbefinden der Menschen, den Austausch und den Abbau von Ängsten und Ressentiments ist.
Durch Kontakte zu Mitarbeiter*innen des "Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlages e.V." - dem BER - entstand die Idee, genau diese Momente des Austauschs und gemeinsamen Erlebens in Kombination mit der Expertise des Jugendklubs Linse zu jugendkulturellen Schwerpunkten nutzbar zu machen. Jugendklubs sind außerschulische Bildungsorte. Kindergärten bereiten auf das Schulleben, die Schule auf das Berufsleben und die Jugendarbeit auf das alltägliche Leben vor. Da die Soziale Arbeit es zum erklärten Ziel hat, ihre Adressat*innen zu unterstützen, zu selbstbestimmten und selbstwirksamen Mitgliedern der Gesellschaft heranzuwachsen, stellen entwicklungs- und kommunalpolitische Themen einen Schwerpunkt der Demokratieförderung und Teilhabemöglichkeit junger Menschen an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen dar. Da sich die inhaltlichen Schwerpunkte der Arbeit des BER - Nachhaltigkeit, interkulturelle Verständigung und Demokratieförderung - mit denen der SozDia decken, soll in naher Zukunft eine weitreichende Kooperation zwischen Einrichtungen der Jugendarbeit und dem Verein etabliert werden. Als Auftakt dieser Kooperation fand am 25. Juni der "Global Justice Kiez Day" auf dem Gelände der Linse statt.
Die Linse stand in ihrer bewegten Vergangenheit und steht trotz ungewisser Zukunft immer für die Ermöglichung von Austausch, Kennenlernen und der Umsetzung von Projektideen. Wir setzen alles daran, dass die Linse auch weiterhin ihren Weg bestreiten kann und Heranwachsenden einen Ort bietet, in welchem sie Selbstwirksamkeit erfahren und sich selbst verwirklichen können. Wir werden weiterhin Dinge von, für und mit jungen Menschen ermöglichen.